Seit dem Ende der Ära Merkel ringt die CDU um ihren neuen Kurs. In dieser Zeit ist eine neue Generation herangewachsen, die machthungrig und untereinander gut vernetzt ist. Und die könnte Parteichef Merz gefährlich werden.

Berlin Anfang September, Spätsommer. Die Sitzungspause im Bundestag ist vorbei. Die Stadt füllt sich wieder mit Politikern und die Terminkalender mit Veranstaltungen. An diesem Abend feiert man in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt ein spätes Sommerfest, zu dem auch zahlreiche Landtagsabgeordnete und Landesminister aus Magdeburg angereist sind, unter ihnen viele CDU-Mitglieder.

Irgendwann geht ein ehrfürchtiges Raunen durch deren Reihen: Hendrik Wüst komme später noch vorbei. Einer der Anwesenden spottet, vor einem Jahr hätte sich der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens noch nicht hier blicken lassen. Aber jetzt ist für Wüst vieles anders als vor einem Jahr. Nun begrüßt ihn Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff, als er tatsächlich gegen 22 Uhr auftaucht, lautstark, aber augenzwinkernd mit: “Ein Bier für den künftigen Kanzlerkandidaten!”

Haseloff, der als ein Elder Statesman in der Partei gilt, darf sich solche Sticheleien leisten. Die Szene allerdings zeigt, dass die Debatte um die Kanzlerkandidatur, wenn auch nicht in der Öffentlichkeit, innerhalb der CDU durchaus geführt wird. Ein Name, der dabei immer fällt, ist der des Landeschefs von Nordrhein-Westfalen.

Landeschefs mit Rückenwind

Auch wenn sicher noch nicht die Rede davon sein kann, dass Wüst eine Favoritenrolle hat, könnte er Parteichef Friedrich Merz gefährlich werden - und zwar, wenn es um das Verfahren geht, in dem der Kanzlerkandidat bestimmt wird. Denn Wüst ist Teil einer Gruppe junger CDU-Männer, die wichtige Landesverbände anführen, die sich untereinander gut kennen, ähnliche Positionen teilen und vor allem eines wollen: beim Auswahlverfahren des Kanzlerkandidaten mitreden.

Da ist zum einen in Schleswig-Holstein Daniel Günther, der unter besonders Konservativen in der CDU auch als “Genosse Günther” verschrien ist. Nur können auch seine Kritiker Günther nicht absprechen, dass er mit seinem liberalen Kurs bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr mehr als 40 Prozent geholt und so die AfD aus dem Landtag gedrängt hat. Ihn kann man in der CDU nicht ignorieren. Von dem Kurs, den Merz einschlägt, ist Günther offenkundig wenig begeistert.

Auch ein anderer erfolgreicher Wahlkämpfer beschwört häufig einen Kurs der Mitte: Boris Rhein, der erst vor kurzem in Hessen die Landtagswahlen gewonnen hat. Auch er hat bereits deutlich Mitsprache bei der Kanzlerkandidatenfrage gefordert. Dieser Forderung hat sich auch Kai Wegner, seit Beginn des Jahres Berlins Regierender Bürgermeister, angeschlossen. Er war einer der ersten, der nach Merz’ umstrittenen Äußerungen zur Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene öffentlich Widerspruch leistete.

Ein moderner Konservatismus

Auch in Wegners Nachbarbundesland Brandenburg gibt es eine neue, junge CDU-Stimme. Jan Redmann, Landesvorsitzender seit Frühjahr dieses Jahres, hat bundespolitisch zwar bisher wenig von sich reden gemacht - das wird sich wohl aber spätestens im kommenden Jahr ändern. Denn im September wird in Brandenburg gewählt und Redmann will als Spitzenkandidat den Amtsinhaber, SPD-Politiker Dietmar Woidke, beerben. Seine Chancen stehen nicht schlecht. Laut aktuellem Brandenburg-Trend trennen CDU und SPD nur zwei Prozentpunkte.

Redmann hat derzeit vor allem sein Bundesland im Blick, ist in vielen Kommunen unterwegs und versucht, die Fläche zu stärken. Einen innerparteilichen Streit um den Kanzlerkandidaten kann er im Wahljahr nicht gebrauchen. Ein geordnetes Verfahren dürfte also in seinem Sinne sein.

Das Gleiche gilt für Manuel Hagel. Er ist der neue Mann für die CDU in Baden-Württemberg. Beim Parteitag im November will er sich zum Vorsitzenden wählen lassen. Hagel ist der Jüngste in der Runde der neuen CDU-Gesichter, Mitte Dreißig, tief im Ländle verwurzelt.

In Baden-Württemberg wird zwar voraussichtlich erst in drei Jahren gewählt, aber sollte Hagel als Spitzenkandidat antreten, könnte er durchaus Ministerpräsident werden. Denn das Urgestein Winfried Kretschmer tritt nicht mehr an, der Kandidat der Grünen wird also keinen Amtsbonus mehr haben.

Hagel steht für einen modernen Konservatismus. So hat er sich zum Beispiel früh für die Gleichstellung homo- und heterosexueller Paare ausgesprochen

Welche Rolle spielen sie bei der K-Frage?

Nicht nur politisch sind sich diese CDU-Männer nah. Teilweise kennen sie sich seit Jahren, meistens aus der Jungen Union. Wüst und Redmann haben sogar zusammen gewohnt. Auch Hagel ist freundschaftlich mit dem NRW-Ministerpräsidenten verbunden. Dass Wüst sich gut mit Rhein und Günther versteht, ist kein Geheimnis. Einige in der Partei sprechen bereits von einem “Andenpakt 2.0”, in Anlehnung an das berüchtigte Bündnis westdeutscher CDU-Größen um Volker Bouffier.

Welche Macht dieser vermeintliche Pakt tatsächlich hat, wird sich wohl spätestens im Frühjahr des kommenden Jahres zeigen. Denn bis dahin wird sich der Handlungsdruck auf Merz erhöhen, ein Verfahren zur Kanzlerkandidaten-Kür vorzulegen. Bisher hatte es aus dem Konrad-Adenauer-Haus geheißen, die Vorsitzenden der CDU und CSU, also Merz und Söder, würden sich zu gegebener Zeit einigen.

Sollten sich aber die Landesvorsitzenden durchsetzen und mitentscheiden, steht die Frage im Raum: Für wen werden sie sich aussprechen? Das hängt von einigen Faktoren ab, die bisher nicht absehbar sind: vom Zeitpunkt der Kandidatenkür, von den Ergebnissen der Europawahl und der Landtagswahlen in Ostdeutschland und von den Beliebtheitswerten der Bewerber um den Posten. Fest steht allerdings: Sollten die CDU-Verbände mitsprechen, würde das Wüsts Chancen auf den Posten steigern.

  • Knusper@feddit.de
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    1 year ago

    Muss auch echt sagen, dass es ziemlich schräg ist, wie die ganze Partei in Richtung Nationalsozialismus abdriftet, seit Mutti im Ruhestand ist.

    Vor zehn Jahren war die CxU die Partei des aktiven Nichtstuns. War auch schon gemeingefährlich, die zu wählen, weil eben doch nicht alles so bleibt wie es ist, wenn man sich nicht um Klimawandel und Co. kümmert, aber zumindest, wie meine Mutter es formulieren würde, kommen dann NPD/AfD/FW nicht an die Macht.

    Mittlerweile hetzt ein Merz gegen Fremde, ein Söder nutzt das aktive Nichtstun, um einen Antisemiten zu decken, und insgesamt ist das die Partei, die plötzlich ein riesiges Problem damit hat, Menschen in Not zu helfen.
    Die “Bürger der Mitte”, die früher CxU gewählt haben, werden bei diesem Kurs früher oder später andere Parteien wählen müssen.

    Wenn da eine neue Generation an Nicht-Rechtsextremen nachkommt, ist das eigentlich keine Überraschung, aber trotzdem begrüßenswert.

    • taladar@feddit.de
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      1 year ago

      Ich glaub du bist da leider etwas zu optimistisch, die “Bürger der Mitte” wie du sie nennst waren früher auch schon sehr rechts, vor allem in CSU Kreisen aber bei weitem nicht nur dort. Die Union war beispielsweise schon sehr lange vorne mit dabei die Gleichstellung bei der Ehe zu bekämpfen, gegen doppelte Staatsbürgerschaft, gegen Wahlrecht für ausländische Mitbürger und natürlich starke Unterstützer der Industrien denen wir den Klimawandel zu verdanken haben.

    • Quittenbrot@feddit.de
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      1 year ago

      ein Söder nutzt das aktive Nichtstun, um einen Antisemiten zu decken

      Nicht erst seit Söder macht die CSU in Bayern alles, damit die CSU an der Macht bleibt.

      Söder hat das ganze jetzt insofern “perfektioniert”, als dass er alles tut, damit Söder an der Macht bleibt.

      Programmatik ist da quasi vollkommen egal. Wichtig ist allein die Stimmung im sprichwörtlichen Bierzelt.

      Und wenn das bedeutet, einen Antisemiten zu decken, hat ein Maggus da keine 5 Femtosekunden Bedenken.